Publikationen von Wilhelm Kaltenborn


Wilhelm Kaltenborn: Die Überwältigung

Die deutschen Genossenschaften 1933/34, der Anschlusszwang und die Folgen

 

Das moderne Genossenschaftswesen in Deutschland war vor 1933 immer demokratischen Strukturen verpflichtet und beruhte auf den Prinzipien der Freiwilligkeit und Selbstverantwortung. Das galt sowohl für die einzelnen Genossenschaften als auch für deren Verbände. Als am 30. Januar 1933 eine nationalsozialistische Regierung in Deutschland die Macht übernahm, zeigte sich sehr bald, dass freiheitliche Genossenschaften für den nationalsozialistischen Ungeist Störfaktoren waren. Sie wurden "gleichgeschaltet", d. h. mit unterschiedlichen Mitteln in das System der Diktatur eingefügt. Das Führerprinzip wurde eingeführt. Die landwirtschaftlichen Genossenschaften wurden putschartig dem gerade installierten "Reichsbauernführer" unterworfen, die Konsumgenossenschaften kamen zum "Reichsführer der Deutschen Arbeitsfront" und wurden 1941 aufgelöst, die Wohnungsgenossenschaften fielen den Behörden anheim und die gewerblichen Genossenschaften und ihr Verband gingen den Weg der Selbstgleichschaltung. Ein Gesetz vom 30. Oktober 1934 zwang dann alle Genossenschaften einem von der nationalsozialistischen Regierung zugelassenen Prüfungsverband beizutreten; das nannte sich "Anschlusszwang". Der Autor stellt diese Entwicklung anhand von amtlichen Quellen und zeitgenössischer Literatur im Einzelnen dar und kommt zum Ergebnis, dass dieser Anschlusszwang konstitutiver Teil der Eingliederung von Genossenschaften und ihren Verbänden in das nationalsozialistische Herrschaftssystem war. Nach 1945 waren handelnde Personen in den Verbänden, aber auch Vertreter der Rechtswissenschaft, die diese Entwicklung gestützt und gefördert hatten, weiterhin im Genossenschaftswesen und in der Genossenschaftswissenschaft tätig und verhinderten die vom Bundesjustizministerium Anfang der sechziger Jahre bereits vorbereitete Aufhebung des gesetzlichen Anschlusszwanges. Das deutsche Genossenschaftswesen hat sich niemals mit seiner Verstrickung in die nationalsozialistische Diktatur auseinandergesetzt. Und so schließt der Autor seine Darstellung mit dem dringenden Appell, die der genossenschaftlichen Tradition verhafteten Verbände sollten sich endlich dieser Aufgabe widmen.


Wilhelm Kaltenborn: Raiffeisen Anfang und Ende

 

 

Friedrich Wilhelm Raiffeisens zweihundertster Geburtstag im März 2018 ist der Anlass dieser Arbeit. In den Worten des Autors: Die Verklärung, der Raiffeisen in diesem Jahr erneut ausgesetzt sein wird, hat mit der realen Person Raiffeisen, mit seinem Werk, seinen Intentionen, seiner Hinterlassenschaft sehr wenig zu tun. Seit Jahrzehnten werden sein Antisemitismus, sein christlicher Fundamentalismus, sein paternalistisches Gesellschaftsverständnis konsequent verschwiegen. Kaltenborn zeigt nun diese Seite anhand von Äußerungen und Beiträgen Raiffeisens, denen sonst keine Beachtung geschenkt wird, die aber feste Bestandteile von Raiffeisens Biografie sind. So werden die längeren antisemitischen Äußerungen Raiffeisens zum ersten Mal ungekürzt im Wortlaut wieder abgedruckt. Auch sein Kampf gegen die »Socialdemokratie« als für den wilhelminischen Staat angeblich gefährliche Umsturzpartei wird sichtbar gemacht. Schließlich wird auch deutlich, wie wenig Raiffeisens Vorstellungen von Genossenschaften mit demokratischer Selbsthilfe zu tun haben, die der genossenschaftlichen Idee erst ihren besonderen Charakter verleiht.
Kurzum, das vorherrschende und sorgfältig gepflegte Bild Raiffeisens wird gegen den Strich gebürstet. Dabei werden alle Aussagen mit reichhaltigem Material belegt, wozu auch die umfangreiche Sekundärliteratur aus der Zeit vor 1933 gehört. Aus der Kenntnis dieser Quellen setzt Kaltenborn das Ende der Raiffeisen-Organisation in das Jahr 1930. Denn kurz vorher war sie, die politisch zur extremen Rechten gehörte, aufgrund von horrender Misswirtschaft in eine Existenzkrise geraten, die nur mit massiver staatlicher Hilfe abgewendet werden konnte. Sie flüchtete dann mit ihren Mitgliedern, die nur ein Fünftel der ländlichen Genossenschaften ausmachten, in eine umfassende Einheitsorganisation und musste dabei ihre überlieferten spezifischen Prinzipien aufgeben.
Was heute den Namen Raiffeisen trägt, so Kaltenborn, hat mit dem Menschen Raiffeisen, seiner Arbeit und seinen Zielen nichts mehr zu tun. Liest man seine antisemitischen Ausführungen, besteht darüber aber auch kein Grund zum Bedauern. Jedenfalls, so das Fazit des Autors, hat Wilhelm Haas mehr Anerkennung verdient. Er hat die viermal größere landwirtschaftliche Genossenschaftsorganisation geschaffen, sich gegen die »Judenhetze« ausgesprochen und nachdrücklich den demokratischen Charakter der Genossenschaften vertreten.

 


Wilhelm Kaltenborn: Verdrängte Vergangenheit

Die Auseinandersetzung mit der Historie des Genossenschaftswesens ist Wilhelm Kaltenborn eine Herzensangelegenheit. Gerade weil er seit Jahrzehnten eine große Sympathie für Genossenschaften hegt, setzt er sich immer wieder mit den Widersprüchen und Absonderlichkeiten des genossenschaftlichen Lebens und Handelns auseinander. 
So auch in seiner neusten Veröffentlichung „Verdrängte Vergangenheit. Die historischen Wurzeln des Anschlusszwanges der Genossenschaften an Prüfungsverbände“, in der er mit umfangreichem Material belegt, dass der Zweck des Anschlusszwangs nicht die Stärkung der wirtschaftlichen Kraft der Genossenschaften, sondern die Durchsetzung des Führerprinzips des NS-Staates war.
 
Die Zwangsmitgliedschaft wurde mit der Novelle zum Genossenschaftsgesetz im Jahr  1934 von Adolf Hitler zur Gleichschaltung und Eingliederung der Genossenschaften in die nationalsozialistische Zwangswirtschaft eingeführt. Dieses Erbe belastet die Genossenschaften auch 70 Jahre nach dem Ende der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft noch immer. Vor allem unter Wettbewerbsgesichtspunkten benachteiligt es die genossenschaftliche Rechtsform.
Im Sinne der Gleichbehandlung mit anderen Rechtsformen und der Stärkung der Genossenschaften fordert er, diese „deutsche Spezialität“ ad acta zu legen und per Gesetz zu revidieren.

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Wilhelm Kaltenborn: Illusion und Wirklichkeit

 
Das hierzulande etablierte Genossenschaftswesen hält Deutschland für den Nabel der weltweiten Genossenschaftsbewegung. Es glaubt sogar daran, dass die Orte Delitzsch, Flammersfeld und Weyerbusch, weil sie zu den Wirkungsstätten von Hermann Schulze-Delitzsch und Friedrich Wilhelm Raiffeisen zählen, die Geburtsstätten der Genossenschaftsidee überhaupt sind. Dass diese Einschätzung grundfalsch ist, weist Kaltenborn anhand vielfältiger Belege nach. Die Genossenschaftsidee und ihre praktische Umsetzung begleiten die Entwicklung und die Geschichte des Menschen von Anbeginn an. Kooperatives, also genossenschaftliches Wirken haben schon die Neandertaler bei der Großwildjagd bewiesen. Das europäische Altertum und das Mittelalter kannten Genossenschaften in allen möglichen Formen, die auch Schulze-Delitzsch bekannt waren.
Seit den Anfängen der Neuzeit nahm dann die literarische und theoretische Beschäftigung mit der Genossenschaftsidee in Europa immer stärker zu. Auch die genossenschaftliche Praxis zeigte die vielfältigsten Formen. Unübersehbarer Höhepunkt dieser Entwicklung war die Gründung einer Konsumgenossenschaft im englischen Rochdale 1844 durch die „Rochdale Society of Equitable Pioneers“. Die damals formulierten Grundsätze finden sich auch heute noch in den Prinzipien des Internationalen Genossenschaftsbundes wieder.
Schulze-Delitzsch und Raiffeisen bildeten wenig später aus den Elementen der genossenschaftlichen Diskussion und Praxis ihrer Zeit jeweils ihr eigenes genossenschaftliches Konzept. Beide verfolgten aber darüber hinaus weitaus umfassendere gesellschaftspolitische Zielsetzungen, bei denen das kooperative Zusammenspiel nur einen Bestandteil darstellte.
Auf deutschen Antrag hin soll nun die UNESCO in Paris die Genossenschaftsidee zum immateriellen Kulturerbe erklären. Dagegen ist nichts zu sagen, wenn denn die Begründung nicht vortäuschen würde, die Genossenschaftsidee sei ein deutscher Einfall gewesen und von Schulze-Delitzsch und Raiffeisen zum ersten Mal umgesetzt. Tatsächlich ist die Genossenschaftsidee eine Menschheitsidee – und deshalb gehört sie auch unabhängig von allen Erklärungen der UNESCO so oder so zum immateriellen Weltkulturerbe.